Drägerwerk, Lübeck

Erratische Riesen

Details
Kunden
Drägerwerk AG & Co. KGaA
Typus
Campus
Kollaboration
Goetz & Hootz Architects, Munich
Entwurf
2005 - 2006
Realisierung
2007 - 2008
Status
Realised
Fläche
40 000 m²
Land
Deutschland

Sie heissen «Düvelstein», «Mövenstein», «Alter Schwede» oder «Buskam». Die Namen von Findlingen stammen meist aus einer Zeit, als man sich die geologische Abweichung zum Fundort noch nicht wissenschaftlich erklären konnte und daher mystische Riesen oder den Teufel selbst bemühte, welche diese gigantischen Gesteinsblöcke an die heutigen Orte geschleudert haben sollten – bevorzugt auf unliebsame Kirchen, welche in der Regel verfehlt wurden. Und obschon die Ausdehnung der Gletscher seit dem 19. Jahrhundert wissenschaftlich belegt ist und die Herkunft jedes Findlings durch mineralogische Untersuchungen präzise bestimmt werden kann, versetzt uns deren Betrachtung noch heute in Erstaunen.

 

Die Wanderung der Findlinge, der Transport der bis zu mehreren Tausend Tonnen schweren Blöcke über viele hundert Kilometer ist kein lokales Phänomen, sondern weltweit in den von Gletschern geformten Landschaften anzutreffen – sichtbar abgelagert oder nur mit dem Erdsonar in tiefen Bodenschichten lokalisierbar. Die Gestaltung des Ensembles aus Forschungs-, Entwicklungs- und Verwaltungsgebäuden der Firma setzt den Campus in Bezug zu diesen glazialen Relikten und ihrer Wanderung: Riesige Monolithe, die auf dem Wasser schweben, aufrecht stehen oder in einem Hain liegen, schaffen unerwartete Bilder und Perspektiven. Wie viele andere Findlinge der norddeutschen Landschaft stammen auch diese Exemplare aus Schweden. Nachdem sie über Jahrtausende auf oder im fliessenden Eis des festen Gletscherkörpers bis zu den Ablagerungsorten, einem Acker der Familie Dräger bei Lübeck und einer Kiesgrube auf der dänischen Insel Fyn, transportiert worden waren, bewältigten sie den letzten Teil der Reise innerhalb weniger Tage auf einem Schwerlasttransporter.

Auch in den Höfen findet sich ein Verweis auf die lokale Geologie. Nicht in Form einer durch glaziale Prozesse geformten Landschaft, sondern im Bodenbelag aus Ziegeln, hergestellt aus gebranntem Lehm. Die Verlegung der Ziegel mit wenigen Millimetern Differenz in der Höhe erzeugt ein Oberflächenrelief, welches sich während Niederschlägen herauszubilden beginnt und das Regenwasser zurückbehält. Dem bekannten Material aus der lokalen Bautradition wird etwas Fremdes entgegengesetzt: Kleine Gruppen aus Nordamerikanischen Sumpfzypressen, Chilenischen Sicheltannen und Japanischen Hängelärchen, die man vorwiegend aus den Vorgärten der suburbanen Quartiere kennt, treten in den nur gegen den Himmel geöffneten Höfen mit ihrem besonderen Wuchs als autonome Objekte in Erscheinung. Wie die Findlinge sind auch sie Reisende. Aus fernen Ländern in die Hansestadt mitgebracht.